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Max Barck und die Edition HERZATTACKE

Gerd Sonntag, Max Barck, HERZATTACKE, Kunst, Schrift,Edition, Grafik   Abb.: Radierung für Max Barck von Gerd Sonntag in Palmbaum, Heft 1/2013

 

Max Barck, Herausgeber der HERZATTACKE und Liebhaber guter Bücher ist verstorben. Der Nachricht wollte ich zunächst nicht glauben, wollte Genaueres erfragen, traf aber nur auf Schweigen. Das Ableben des Max Barck hatte einige der Freunde plötzlich stumm gemacht.
Es war, als wäre einer der Eisesschauer des Realen in ein von Erwartungen erhitzes Leben gefahren und hätte den Alltag in senkrechte Streifen zerlegt. Ähnlich erging es mir einmal als Kind im Thüringischen Wald. Ein zerbrochenes Paar Ski geschultert, schwitzend und frierend zugleich, eilte ich durch den winterlich weißen Forst glatte Eishügel hinab, hastend, stolpernd, rutschend, in Richtung Bett und Ofen, als ein ekelhaft kalter Schnee mir in den Nacken fiel, sich mit dem Schweiß vermischte, auftaute und an meiner zitternd heißen Haut entlang den Rücken abwärts rann. Unerfreulliches hautnah. Mich schauderte. Der Widerwille schüttelte mich durch. Dem Leben zugetan hasste ich diese Wirklichkeit.

Nun gibt es ein Schweigen zu Max Barck. Und die Erschütterung. Aus gutem Grund. Der Bücherfreund war nicht nur der Herausgeber der HERZATTACKE, er war auch Lenker eines Kunstvereins mit gleichem Namen und kümmerte sich um die Verbreitung künstlerischer Eigenwilligkeiten und: um das Herbeizaubern von Geld. Sein Wort war das der letztlichen Entscheidung. Dem einen und dem anderen - Autor oder Künstler - musste sich mit Barcks Verscheiden ein tiefes Loch auftun. Der denkerische Schutzpatron hatte nicht nur kein biblisches Alter erreicht, er bog bereits vom Weg des Irdischen ab, als er noch weit entfernt war von der Lebensschwelle, die ein guter Bürger in Deutschland zu betreten hofft, um die berühmte Rente zu kassieren. Zurück ließ er Erwartungen - und viele gute Bücher. Max Barck sammelte solche und gab solche heraus. Unter Liebhabern extraordinär geschriebener Literatur wird sich sein Name weiterhin mit der Idee vom guten Buch verbinden.
Während 25 Jahren versuchte Max Barck in der Person des Gründers und Regenten von Edition und Kunstverein zwischen poetischer Literatur und bildnerischen Künsten zu vermitteln. Seine Freunde Lothar Klünner und Gert Neumann, Wolfgang Hilbig, Mikos Meininger und der Maler Lothar Böhme kamen ihm dabei zu Hilfe. Anja, Mutter seiner Kinder, gab ihm die beste Rückendeckung, solange das noch möglich war. Dazu kein weit´res Wort.

Die Dichtung der Franzosen, das Denken der Surrealisten, überhaupt die Sprachkunst seit Baudelaire und Lautreamont, die hatten es ihm angetan. Sein Hauptheld hieß Bataille. In Deutschland fand er Heiner Müller.
Was eine morbide Kunstkritik als klassische Moderne eingestuft und abgestempelt hat, das war die Kunst, mit der Max Barck den besten Umgang pflegte. Doch George Grosz, Henri Matisse, André Breton oder Paul Klee konnte er ja nicht mehr bitten, seine HERZATTACKE-Bücher mit Zeichnungen zu versehen. Also schaute er sich um, da wo er lebte und sah einiges, was er an Bildern gegenüber den Worten seiner Lieblingsliteraten aufzustellen wagte. Ob er dabei vom Glück verfolgt war, das kann ich nicht behaupten.
Foto, Grafik, Zeichnung, Übermalung. Fast allem stand die HERZATTACKE offen. Bedauerlicherweise auch dem Siebdruck. Ostkunst - bevorzugt.  Lothar Böhme und Strawalde gelegentlich im Doppelpack. Auch meine Tätigkeit gelangte in den Focus des Organisators.

Das klingt nach starker Einschränkung, und war auch eine. Doch was will das besagen. Vielleicht lag er nicht falsch, wenn Barck für sich persönlich annahm, das berühmt Französische in der bildnerischen Kunst hätte östlich der Elbe größeres Gewicht als dort, von wo es einst herüberkam und Europas Kunstbetrieb mit Augenfreuden überwältigte. DIe HERZATTACKE war  ja  seine  Edition. Nach seinem Sinn. Er betreute diese Reihe wie ein Sammler der - einen Traum verfolgend - ohne kuratorisch abgedeckten Besserwiss, seine Sammelstücke überschaut.

Darf ich an dieser Stelle etwas zur Person notieren? Max Barck wuchs auf als Maximilian in einem Übersetzerhaushalt, zweisprachig, deutsch/französisch. Ausgebildet, ich fühle mich verführt zu schreiben, trainiert, wurde Max Barck an allen Kletterseilen, welche Deutschlands Weltbetrachter während der vergangenen Jahrhunderte von den Gipfeln ihrer Konstruktionen herunterhängen ließen. An den kilometerlangen Mauern philosophischer Gewissheit sollte Max das Steigen üben. Er übte. Streng. Gewissheit fand er keine. Doch Hegel und die übrigen Deutschen dieser Leistungs-Sparte wurden ihm bis in die Zeilen hin vertraut. Aber - nicht nur jene. Auch die lückenlose Anthologie französischer Poeten und aller kulturpolitischen Streithähne der letzten 250 Jahre fand unter Maximilians Schädeldecke ein Zuhause. Eine Blockade fürs Gehirn? Nein. Er glich Hegel aus mit einem Sinn für Hugo Ball (was fast schon Liebe wurde), und auch mit Wittgenstein wusste Barck etwas anzufangen. Doch wie sollte das zur Bildnerei je ins Verhälnis kommen? Hier erwartete ihn ein Problem.

Das poetische Leben seiner Bücherfolge führte die Praktiker unter den Sammlern seiner Edition niemals in eine Herzattacke, aber es attackierte doch einige der Herzen, die nicht allein aus Angst um Arbeit, Miete, Krankheit und Versicherung pulsieren. Weit weg entfernt von jeder Sicherheitsidee der Siencefiction-Gegenwart mit Schutzhelm und mit Gurtpflicht und täglich neuen Verordnungen und Verboten, mit dem ewigen Leben, dem Arzt für jede Lebenslage, mit Ruheplatz im Altersheim, davon weg tendierte eine unausgesprochenen deutliche Vision des Maximilian Barck. Diese Vision ließ seine Herzattacke 25 Jahre leben, bis zu seinem eigenen Tod. Ob diese Edition demnächst auch ohne ihn erscheinen wird? Ich glaube kaum.

Der Kunstverein HERZATTACKE war der Max-Barck-Verein und wurde wie die Edition von Max Barck geführt unter dem Eindruck der historischen Alleinherrschafts-Modelle. Eine Entscheidung, die an allen politischen Idealen vorüberhuschend das Praktikable nutzte, um das visionär Mögliche zu schaffen. In der Politik: beste Voraussetzung für Diktatur. In der Kunst: ein Weg, einige der Träume festzuhalten, die niemanden verletzen müssen.

Unglück und Verletzung. Das hungrige Auge des lesenden Publikums, wie gern nascht es an blutig dunkler Ausmalung eines jeden Unglücks, das den künstlerischen Lebenslauf belauert wie der Wolf das Zicklein. Verdrängt wird diese Wollust der Verbraucher nur von einem Wort: ERFOLG. Erfolg war für Max Barck das Ungewisse. Im Ungewissen fühlte er sich sicher. Erfolg in einem Sinn, der meint, dass ihm gelungen wäre, was er plante, den hatte er nur selten. Sein Galeriebetrieb kam nie so recht in Gang und die vielen, immer in Versalien geschriebenen, eigenen Gedichte des Verlegers fanden selber keinen, der sie veröffentlichen wollte und blieben ohne jegliche Verbreitung. Das mochte ihm nicht gleichgülig gewesen sein. Einmal deutete er mir gegenüber solches an.

Das Palmbaumheft, für das ich schreibe, fragt: Was ist ein schönes Buch? Ich übersetze mir die Frage mit: Was ist eine gutes Buch? - denn, wenn ich es nicht für ein gutes halten kann, will mir ein Buch auch nicht als schön erscheinen. Und was ist ein gutes Buch? Das weiß ich nicht. Aber ich weiß doch, dass es gute Bücher gibt. Und nun?
Hier wage ich den Hinweis, wie wenig mir ein Buch für gut gilt, nur weil es mit enormem Aufwand gebunden und von Grafikern bebildert wurde, man gestatte mir das Wort - verdorben. Da ein gutes Buch auch ohne Bilder gut sein kann, allein schon wegen seines guten Textes, müsste ich jetzt gute Texte listen, um dieses Feld der Güte abzudecken. Texte hielt Max Barck zu jeder Zeit in seiner Hand. An Texten fehlte es ihm nie. Woran er niemals dachte war: Ein gutes Buch kann ohne Text auskommen: Das gute Bilderbuch.
Ein Buch, das ohne Bild auskommt, steht bei mir griffbereit. Es beherbergt sämtliche Gedichte des Künstlers Michelangelo.

MoE. Mann ohne Eigenschaften. Wie ließe sich ein so komplexes Sprach- und Denk-Kunstwerk je zeichnerisch bewältigen? Ich wüßte nicht, wie das gut möglich wäre. Wenn ich mir irgendwann doch eine Lösung phantasieren wollte, ich käme nur auf den Versuch des Einfügens sehr weniger, grafisch gedachter Blätter, die allein aus Schrift bestehen, aus Schrift, die mir nichts unterschreibt, am Text nichts "untermauert". Eine zeichnerische Schrift, die nur das Wort, nein - nicht das Wort - die Wirkungen des Wortes und seiner Schrift gewordenen Zeichen feiern würde. Die Zeichnung dürfte Musils Text nicht einmal mit der Andeutung berühren, geschweige denn ihn illustrieren.
Denkbar wäre mir das Buch auch mit etwas so Herrlichem wie der Linienführung Botticellis. Der Künstler schickte sie als Bild-Begleitung durch Dantes Höllenfahrt. Eine moderne Zeichnung, die mir den illustrierenden Bezug zu Musils Text erspart, wollte aber von einem Genie der Gegenwart ins Blech geritzt sein. Nun, denn. Ich gönne mir den MoE weiterhin ohne Bild. An diesem Buch ist mir nur Sprache wichtig. Ansonsten gilt: je länger ich durchs Leben tappe, um so problematischer wird mir der Umgang mit dem Wort. Das Wort. Behauptung. Meinung, Glaube, Nachricht, Bitte und Befehl.
Ich denke hier an die Kulturheroen, von denen eine Impression zurückgelassen wird, als schrieben sie nur zu dem Zweck, die Leserschaft mit Worten zu vergiften, auf dass sie röchelnd sich ergebe.

Das gute Buch. Vor vielen Jahren gelang Horst Hussel ein Treffer in den Apfel des Herrn Tell, das war, als Hussel die Gedichte von Hinrich Brockes mit Zeichnungen versah. Dieses geistreich schöne Buch hätte heißen dürfen "Die Welt, unter das Mikroskop gebracht von Brockes und von Hussel". Auch Hussel wurde von Max Barck irgendwann zu seiner Edition gebeten. Spät. Sehr spät. Sehr, sehr spät.
Welches wäre noch ein gutes Buch? Bruno Schmidts "Die Zimtläden"? Ja, das will mir als ein solches gelten. Mit den Bleistiftzeichnungen des Autors postum versehen, war es während Kalter Kriegskultur in den Handel und von dort zu mir gelangt. Hier stoppe ich das Aufzählwerk.

Erstaunlich bleibt, inwieweit Barck, ein Freund best möglich übertragener Sprache, durch dessen Kopf in einer Tour mit Donner und Getöse solch ismenhafte Wortkonstrukte rasten wie "konservativer Anarchist" oder "progressiver Liberaler", oder "Antikommunist" - und das alles wie auf einem Karussell, abgewechselt von bedeutungslästig herangezogenen Zitaten über seine Zunge kam, wie er diesen Konflikt lösen und sich der Kunst verschreiben konnte, ohne sie an Ismen festzuschnallen, was ja der politisch sesshaften Naturen allerliebster Wunsch ist, wo es um künstlerische Weltbetrachtung geht. Was hatte ihn dem künstlerischen Leben zugeführt? War es Bildung, war es der Bezug zum "Wissen"?
Wissen. Wie wäre es denn damit: Ein Mehr an Wissen nähert sich dem Zustand seiner Ohnmacht. Dem Wunsch nach "Nicht -Macht-haben-Wollen". Wissen ist Macht. Ja, schön, wenn Polizeiwissen gemeint ist und mit Macht das Einschranken freier Geister. Abgesehen davon, dass ein Gespräch über "die Mächtigen" und deren Macht - die nie eine Allmacht ist - ohnehin nur deren Zweck als Dienstleister verschleiert. Und wenn ich jemanden befragte, welchen Gehalt das Wort "Macht" vorweisen könnte, wo es in den Raum hinein gezürnt wird, so kam für mich noch nie etwas dabei heraus.
Wissen hindert am heroisch Handeln. Es macht die Füße schwer beim Latschen durch Schnee und Schlamm und Wüste geradeaus in Richtung Feind. Es belastet auch den Arm beim Fleischhack, gönnt dem Netzwerk im Gehirn kaum eine Freude am historischen Entscheid, keinen Jubel im Triumpf der Masse. Es kennt keinen Sieg. In eine Kunst verliebt, die gar nicht darauf aus ist, mit Claudius zu jubeln," wie süß ist´s, in der Schlacht ums Vaterland auf einem Wüterich zu sterben, den man selbst umgebracht", oohnmachtete Max Barck zwischen den Welten der Betrachtung und seiner Handlungswut. Auch so kann eine Höllenfahrt aussehn.

MBs aus literarischer Kentniss und schlussfolgernder Analyse bevorzugtes Handeln und Verstehen ging nach meiner (nicht sehr gesicherten) Beobachtung davon aus, dass weder Aberwitz noch Wahn aus den Gruppierungen und den Massen, die sie tragen, verschwunden sind, wohl aber leicht verschoben - aus einem altertümlichen in den modernen Wartesaal. Der Ausbruch steht uns allemal bevor. So dachte er. Vielleicht benannte er auch deshalb seine Edition nach einer HERZATTACKE?

"Die Tätigkeit ist eine Folge verzweifelter Handlungen, welche erlauben, die Hoffnung zu bewahren." -
schrieb der Künstler Braque in seinem Buch "Der Tag und die Nacht". Ein Buch, das Türen öffnet zum künstlerischen Denken, mit einer Übereinstimmung von Material und poetischer Anrührung des Dargestellten. Ein gutes Buch. Ein schönes Buch. Ein lebend Buch. Wie alle Bücher, die von diesem Maler mit Kunst bereichert wurden. Max Barck war dieses Buch vertraut. Es rührte seinen Zweifel.

© Gerd Sonntag, 2013
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>> publiziert in Palmbaum 1/ 2013

>> Pirckheimer Gesellschaft, Nachruf

 

in der Printausgabe Palmbaum 1/ 2013 erschienen diese Abbildungen zum Text:

Gerd Sonntag, Max Barck, HERZATTACKE, Kunst, Schrift,Edition, Grafik         Felix Furtwängler, Gerd Sonntag, Max Barck, HERZATTACKE, Kunst, Schrift, Edition, Grafik           Strawalde, Gerd Sonntag, Max Barck, HERZATTACKE, Kunst, Schrift,Edition, Grafik         Horst Hussel, Gerd Sonntag, Max Barck, HERZATTACKE, Kunst, Schrift,Edition, Grafik         Gerd Sonntag, Kunst, Schrift, paintings, Art, Malerei

 Mikos Meininger /  Felix Furtwängler /  Strawalde /  Horst Hussel /  Gerd Sonntag

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