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i n d e x k u n s t t e x t e a u s s t e l l u n g e n a u k t I o n k o n t a k t
Abb.: Radierung für Max Barck von Gerd Sonntag in Palmbaum, Heft 1/2013
Max Barck, Herausgeber der HERZATTACKE
und Liebhaber guter Bücher ist verstorben. Der Nachricht wollte
ich zunächst nicht glauben, wollte Genaueres erfragen, traf
aber nur auf Schweigen. Das Ableben des Max Barck hatte einige der
Freunde plötzlich stumm gemacht. Nun gibt es ein Schweigen zu Max
Barck. Und die Erschütterung. Aus gutem Grund. Der Bücherfreund
war nicht nur der Herausgeber der HERZATTACKE, er war auch Lenker
eines Kunstvereins mit gleichem Namen und kümmerte sich um
die Verbreitung künstlerischer Eigenwilligkeiten und: um das
Herbeizaubern von Geld. Sein Wort war das der letztlichen Entscheidung.
Dem einen und dem anderen - Autor oder Künstler - musste sich
mit Barcks Verscheiden ein tiefes Loch auftun. Der denkerische Schutzpatron
hatte nicht nur kein biblisches Alter erreicht, er bog bereits vom
Weg des Irdischen ab, als er noch weit entfernt war von der Lebensschwelle,
die ein guter Bürger in Deutschland zu betreten hofft, um die
berühmte Rente zu kassieren. Zurück ließ er Erwartungen
- und viele gute Bücher. Max Barck sammelte solche und gab
solche heraus. Unter Liebhabern extraordinär geschriebener
Literatur wird sich sein Name weiterhin mit der Idee vom guten Buch
verbinden. Die Dichtung der Franzosen, das
Denken der Surrealisten, überhaupt die Sprachkunst seit Baudelaire
und Lautreamont, die hatten es ihm angetan. Sein Hauptheld hieß
Bataille. In Deutschland fand er Heiner Müller. Das klingt nach starker Einschränkung, und war auch eine. Doch was will das besagen. Vielleicht lag er nicht falsch, wenn Barck für sich persönlich annahm, das berühmt Französische in der bildnerischen Kunst hätte östlich der Elbe größeres Gewicht als dort, von wo es einst herüberkam und Europas Kunstbetrieb mit Augenfreuden überwältigte. DIe HERZATTACKE war ja seine Edition. Nach seinem Sinn. Er betreute diese Reihe wie ein Sammler der - einen Traum verfolgend - ohne kuratorisch abgedeckten Besserwiss, seine Sammelstücke überschaut. Darf ich an dieser Stelle etwas zur Person notieren? Max Barck wuchs auf als Maximilian in einem Übersetzerhaushalt, zweisprachig, deutsch/französisch. Ausgebildet, ich fühle mich verführt zu schreiben, trainiert, wurde Max Barck an allen Kletterseilen, welche Deutschlands Weltbetrachter während der vergangenen Jahrhunderte von den Gipfeln ihrer Konstruktionen herunterhängen ließen. An den kilometerlangen Mauern philosophischer Gewissheit sollte Max das Steigen üben. Er übte. Streng. Gewissheit fand er keine. Doch Hegel und die übrigen Deutschen dieser Leistungs-Sparte wurden ihm bis in die Zeilen hin vertraut. Aber - nicht nur jene. Auch die lückenlose Anthologie französischer Poeten und aller kulturpolitischen Streithähne der letzten 250 Jahre fand unter Maximilians Schädeldecke ein Zuhause. Eine Blockade fürs Gehirn? Nein. Er glich Hegel aus mit einem Sinn für Hugo Ball (was fast schon Liebe wurde), und auch mit Wittgenstein wusste Barck etwas anzufangen. Doch wie sollte das zur Bildnerei je ins Verhälnis kommen? Hier erwartete ihn ein Problem. Das poetische Leben seiner Bücherfolge führte die Praktiker unter den Sammlern seiner Edition niemals in eine Herzattacke, aber es attackierte doch einige der Herzen, die nicht allein aus Angst um Arbeit, Miete, Krankheit und Versicherung pulsieren. Weit weg entfernt von jeder Sicherheitsidee der Siencefiction-Gegenwart mit Schutzhelm und mit Gurtpflicht und täglich neuen Verordnungen und Verboten, mit dem ewigen Leben, dem Arzt für jede Lebenslage, mit Ruheplatz im Altersheim, davon weg tendierte eine unausgesprochenen deutliche Vision des Maximilian Barck. Diese Vision ließ seine Herzattacke 25 Jahre leben, bis zu seinem eigenen Tod. Ob diese Edition demnächst auch ohne ihn erscheinen wird? Ich glaube kaum. Der Kunstverein HERZATTACKE war der Max-Barck-Verein und wurde wie die Edition von Max Barck geführt unter dem Eindruck der historischen Alleinherrschafts-Modelle. Eine Entscheidung, die an allen politischen Idealen vorüberhuschend das Praktikable nutzte, um das visionär Mögliche zu schaffen. In der Politik: beste Voraussetzung für Diktatur. In der Kunst: ein Weg, einige der Träume festzuhalten, die niemanden verletzen müssen. Unglück und Verletzung. Das hungrige Auge des lesenden Publikums, wie gern nascht es an blutig dunkler Ausmalung eines jeden Unglücks, das den künstlerischen Lebenslauf belauert wie der Wolf das Zicklein. Verdrängt wird diese Wollust der Verbraucher nur von einem Wort: ERFOLG. Erfolg war für Max Barck das Ungewisse. Im Ungewissen fühlte er sich sicher. Erfolg in einem Sinn, der meint, dass ihm gelungen wäre, was er plante, den hatte er nur selten. Sein Galeriebetrieb kam nie so recht in Gang und die vielen, immer in Versalien geschriebenen, eigenen Gedichte des Verlegers fanden selber keinen, der sie veröffentlichen wollte und blieben ohne jegliche Verbreitung. Das mochte ihm nicht gleichgülig gewesen sein. Einmal deutete er mir gegenüber solches an. Das Palmbaumheft, für das ich
schreibe, fragt: Was ist ein schönes Buch? Ich übersetze
mir die Frage mit: Was ist eine gutes Buch? - denn, wenn ich es
nicht für ein gutes halten kann, will mir ein Buch auch nicht
als schön erscheinen. Und was ist ein gutes Buch? Das weiß
ich nicht. Aber ich weiß doch, dass es gute Bücher gibt.
Und nun? MoE. Mann ohne Eigenschaften. Wie
ließe sich ein so komplexes Sprach- und Denk-Kunstwerk je
zeichnerisch bewältigen? Ich wüßte nicht, wie das
gut möglich wäre. Wenn ich mir irgendwann doch eine Lösung
phantasieren wollte, ich käme nur auf den Versuch des Einfügens
sehr weniger, grafisch gedachter Blätter, die allein aus Schrift
bestehen, aus Schrift, die mir nichts unterschreibt, am Text nichts
"untermauert". Eine zeichnerische Schrift, die nur das
Wort, nein - nicht das Wort - die Wirkungen des Wortes und seiner
Schrift gewordenen Zeichen feiern würde. Die Zeichnung dürfte
Musils Text nicht einmal mit der Andeutung berühren, geschweige
denn ihn illustrieren. Das gute Buch. Vor vielen Jahren
gelang Horst Hussel ein Treffer in den Apfel des Herrn Tell, das
war, als Hussel die Gedichte von Hinrich Brockes mit Zeichnungen
versah. Dieses geistreich schöne Buch hätte heißen
dürfen "Die Welt, unter das Mikroskop gebracht von Brockes
und von Hussel". Auch Hussel wurde von Max Barck irgendwann
zu seiner Edition gebeten. Spät. Sehr spät. Sehr, sehr
spät. Erstaunlich bleibt, inwieweit Barck,
ein Freund best möglich übertragener Sprache, durch dessen
Kopf in einer Tour mit Donner und Getöse solch ismenhafte Wortkonstrukte
rasten wie "konservativer Anarchist" oder "progressiver
Liberaler", oder "Antikommunist" - und das alles
wie auf einem Karussell, abgewechselt von bedeutungslästig
herangezogenen Zitaten über seine Zunge kam, wie er diesen
Konflikt lösen und sich der Kunst verschreiben konnte, ohne
sie an Ismen festzuschnallen, was ja der politisch sesshaften Naturen
allerliebster Wunsch ist, wo es um künstlerische Weltbetrachtung
geht. Was hatte ihn dem künstlerischen Leben zugeführt?
War es Bildung, war es der Bezug zum "Wissen"? MBs aus literarischer Kentniss und schlussfolgernder Analyse bevorzugtes Handeln und Verstehen ging nach meiner (nicht sehr gesicherten) Beobachtung davon aus, dass weder Aberwitz noch Wahn aus den Gruppierungen und den Massen, die sie tragen, verschwunden sind, wohl aber leicht verschoben - aus einem altertümlichen in den modernen Wartesaal. Der Ausbruch steht uns allemal bevor. So dachte er. Vielleicht benannte er auch deshalb seine Edition nach einer HERZATTACKE? "Die Tätigkeit ist eine
Folge verzweifelter Handlungen, welche erlauben, die Hoffnung zu
bewahren." - © Gerd Sonntag, 2013 : >> publiziert in Palmbaum 1/ 2013 >> Pirckheimer Gesellschaft, Nachruf
in der Printausgabe Palmbaum 1/ 2013 erschienen diese Abbildungen zum Text: Mikos Meininger / Felix Furtwängler / Strawalde / Horst Hussel / Gerd Sonntag |